tacuisses

worüber nicht gesprochen aber doch geschrieben werden sollte. Bildung, Werte, Gesellschaft - was uns weiterbringt.

Montag, April 12, 2010

 
Kürzlich Sonntags in der Kirche: der Pfarrer nimmt Stellung zu den Vorfällen, in denen katholische Geistliche in Internaten Schüler misshandelt haben. Er stellt statistische Zahlen dar, die zeigen, dass derartiges ein gesellschaftliches Phänomen sind, dass sich nicht auf den geistlichen Bereich beschränkt. Im Gegenteil, es kommt in höherem Masse in anderen Umfeldern ebenso vor und im familiären Umfeld vielleicht sogar zum größten Teil. Und gleich darauf der einwand, die völlig unnötige Relativierung - denn diese hat schon vorher stattgefunden: Es werde mit diesem Vergleich in ´keiner Form das Verhalten der Geistlichen entschuldigt.

Hmm, wird hier noch mit gleichem Masstab gemessen. Sind körperliche und besonders auch seelische Gewaltausübung im privaten und familiären Umfeld also entschuldbarer? Wieviele Schüler laufen im Sommer mit langen Hosen herum, weil sonst womöglich blaue Flecken zu sehen sind von der elterlichen Prügel.

Die Erwartung ist eine andere: Geistliche und Leitungspersonal in Sport- und schuleinrichtungen gilt als professionell vorbereitet für seine Aufgabe.

Von Eltern wird zurecht und verständlicherweise nicht erwartet, dass sie professionell ausgebildete Erzieher sind. Selbst die eigenen Kinder scheinen das nicht zu erwarten. Wenn sie Opfer tätlicher oder seelischer Ausrutscher werden behalten sie es normalerweise für sich. Es ist ihnen peinlich und unangenehm, das ausserhalb der eigenen Familie zu besprechen oder gar die eigenen Eltern anzuklagen.

Das deutet auf ein sehr unverkrampftes Verhältnis zur Gewaltausübung hin. Gewalt ist ein zumindest kurzfristig wirksames Mittel zu Zielerreichung. Welche Ziele es auch immer sind. Die ganze Gesellschaft ist ausgerichtet auf Effizienz und Zielerreichung. Wir beten ihn an, den Gott der Effizienz. Und dann wundern wir uns, wenn Geistliche zur Erreichung ihrer eigenen und teilweise sehr persönlichen und intimen Ziele bereit sind, Gewalt einzusetzen. Geistliche sind doch keine Heileige, Geistliche sind Fromme aber doch recht normale Menschen.

Wir sind also wahrhaftig betroffen. Uns wird ein Spiegel vorgehalten. Das soll keineswegs heissen, dass jeder von uns gerne Gewalt und Unrecht ausübt - auch oder gerade gegen Wehrlose, gegen Kinder .

Zwei Samstage nach dieser Messe, in der der Pfarrer sehr gut relativiert hat, lässt sich in einer führenden deutschen Tageszeitung ein ehemaliger Internatschüler über die gesamte letzte Seite des Feuilleton darüber aus, dass Internat etwas grausames ist. Nur um am Ende festzustellen, dass in diesem Internat am Niederrhein weder seinen Mitschülern noch ihm in irgendeiner Form eine missbräuchliche Gewaltausübung bekannt geworden ist. Trotzdem war allein der vermutlich als erzwungen empfundene Aufenthalt im Internat an sich schon einer Misshandlung gleichgesetzt wird.

Das ist in höchstem Masse unfair und unredlich. Das zeigt, dass keiner von uns sich in einem gewaltfreien Umfeld bewegt. So lernen wir früh, mit Gewalt umzugehen. Homo Homine Lupus Est. Der Mensch ist sich selbst sein grösster Feind. Schon Kinder sind untereinander sich selbst gewalttätig. Welcher Junge hat sich nicht geprügelt, hat nicht versucht, anderen Menschen - egal ob stärker oder schwächer - weh zu tun oder zu etwas zu zwingen. Da verwerfliche ist - egal in welchem Umfeld - ist jeder Umgang mit Schutzbefohlenen die genau den tätlichen Angriffen ausgesetzt werden, vor denen sie eigentlich geschützt werden sollten. Das ist unabhängig von der persönlichen Veranlagung der Verantwortlichen.

Warum wird eigentlich differenziert zwischen mißhandelt, mißbraucht und gezüchtigt. Es gibt Unterschiede dazwischen. Aber vor allem gibt es Ähnlichkeiten. Die Ähnlichkeiten bestehen im Unrechtscharakter. Nur dem Begriff züchtigen haftet etwas berechtigtes, etwas legales an. Dabei ist eine wirksame Züchtigung eine Mißhandlung. auch ein Mißbrauch, der übrigens nicht als Züchtigung gedacht ist und nicht zu sichtbaren Folgen einer Mißhandlung führt ist eine mißhandlung. Das Wesen ist das Handeln. Das aktive unaufgeforderte Tun. Mißbrauch hört sich an nach brauchen, benötigen. Es wirkt entschuldbar, weil es etwas passives hat.

Egal ob es so ist oder nicht: Beschützer und Erzieher müssen ebenfalls beobachtet werden. Mißhandlungen, die nicht offenkundig werden, geben keine Chance gegen eine Wiederholung vorzugehen. Die misshandelten selber sind oft nicht in der Lage dazu. Aufmerksamkeit und Sensibilität sind nicht nur in einem von oben nach unten notwendig sondern jeder für jeder! Insofern darf ein womöglich Internatsgeschädigter Journalist berechtigt, auf die ihm spürbar gewordenen Wirkungen hinzuweisen. Doch wer weiß, wie das vor einem Jahr gewirkt hätte. Da ist doch die Vermutung oder Unterstellung, dass das Thema niemanden so richtig interessiert.

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